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Die ersten Ausflüge nach Ostberlin 1981

Kurze Beschreibung des Einflusses des Gebiets stehengebliebener Zeit
rund um Westberlin in den 80er Jahren auf die dort lebenden Menschen.

Von Stefan Hoenerloh

Die Idee einer Utopie war schon frühzeitig der Motor für verschiedene Versuche, Gesellschaftssysteme zu ersinnen. Als Künstler ist man naturgemäss damit beschäftigt, Gegenwelten zu erschaffen und theoretische Modelle zu erschaffen. Gerade in den siebzigern war das Thema anderer Weltmodelle Basis für Infragestellungen jeglicher Couleur.
Wer 1980 nach Berlin kam, fand dann dort ringsum eine Zone, genannt DDR, die erstaunliche Ähnlichkeit mit einigen Filmen und Vorstellungen hatte, die damals noch wichtig waren und es heute, nach gebührendem Abstand wieder werden dürfen. Es war eine stehengebliebene Utopie, die sich zur verzerrten Realität gewandelt hatte. Somit bestand eine gewisse Ähnlichkeit mit den künstlerischen Gegenwelten der 70er.
Es ist natürlich ein Sakrileg die DDR als Kunstwerk zu bezeichnen, aber per Definitionem entsprach sie in vielen Teilbereichen einem solchen. Im Sinne der Hinterfragung der Realität gleich einem Werk Bruce Naumanns von 1967 „The true artist helps the world by revealing mystic truths“ war das gesamte Areal ein scheinbar inszeniertes Environment, ein Stück Objektkunst in der Tradition eines Marcel Duchamps. Selbstverständlich ist es menschenverachtend und anmassend, solche Worte auch nur auszusprechen, aber die Zeit trampelt über alles hinweg. Nach etlichen Jahrhunderten wird nur fragmentarisches Wissen erhalten bleiben und die Einzelschicksale spielen kaum eine Rolle. So darf heute vielleicht der Versuch gemacht werden, das ganze Geschehen von aussen zu betrachten.
Faktum ist: die DDR war eine Diktatur über deren Sinn oder Unsinn an anderer Stelle genügend diskutiert wurde. Aber ihre Rolle als Kunstwerk wird allgemein selbstverständlich gar nicht in Erwägung gezogen. Es ist sozusagen tabu.
Als gewissermassen dekadenter Mensch aus dem Westen (denn1980 waren fast alle „Westler“
dekadent, da sie durch angenehme Lebensbedingungen und niedrige Kosten sich grossteils eine gewisse Ruhe gönnen konnten) war ein Besuch in der damaligen DDR fast so etwas wie der Besuch eines Museums. Dort wurde vieles bewahrt, was heute nun durch ökonomisch orientierte Handlungen zerstört wurde, es kostete Eintritt durch den Zwangsumtausch und man musste abends das Land (also das Museum) wieder verlassen. Wenn wir mal die Menschen, die dieses Museum gezwungenermassen bewohnt haben, aussen vor lassen, weil man anders an diese Sichtweise gar nicht herangehen kann ohne auf Widerstand zu stossen, dann war es eine Welt mit verdrehten Zeitabschnitten und seltsam laufenden Uhren.

Es war der gestoppte Fortschritt; der Versuch, die Zeit anzuhalten. Dies war nicht im Sinne der Erfinder, aber ein Faktum. Ökonomie und Nutzenrelationen schienen keine Rolle zu spielen, was seltsame Stilblüten trieb. Das Faszinosum entstand durch die Strenge der Darstellung; durch die Separierung. Das Fehlen der Werbung, das strassenweise Renovieren oder Nichtrenovieren der Häuser und die Farblosigkeit erzeugten ein Einheitlichkeit, wie sie heute nirgends mehr zu finden ist. Eine komplett unrenovierte Strasse mit dem Originalanstrich von 1905 hatte einen ungewöhlichen Zusammenhang und wirkt dadurch komponiert, fast wie aus einem Guss. Gleichsam einer Theaterkulisse standen fast alle sichtbaren Teile der Stadt in farblicher und formaler Ähnlichkeit nebeneinander.
Gleichsam einem Wald, in dem auch keine Borke der Bäume rosa gestrichen wird, sondern alles seinen Weg findet, in dem Verwesung und Neubildung ihren Platz haben, war Ostberlin eine scheinbar natürlich gewachsene Ansammlung von Steinen, wie Felsen in einem Canyon.
Die Sockelzone war durch Verkehrsschmutz schwarz und die oberen Etagen durch Regenabwaschung weiss geworden, gleich einem vermoosten Baumstamm- den ja auch niemand zu reinigen wagt. So wie niemand den Grand Canyon anstreichen oder kehren würde, standen die Ostberliner Häuser wie Felsen stolz flankierend an der Strasse.
Heute hingegen sind sie durch Anilinfarben ihrer Würde beraubt und zu Legosteinen degradiert, bei denen man oben und unten nicht unterscheiden kann. Es sind funktionale Gebilde, einheitlich gestrichen und jeglicher Zeiteinflüsse beraubt. Einschusslöcher wurden zugegipst und Spuren der ehemaligen Bewohner sorgsam vernichtet. Die angesammelte Informationsmenge an einer Wand wird nun keine Geschichten mehr erzählen können. Es gleicht dem Brand einer Bibliothek.
Die heutigen Farben waschen sich nicht mehr aus, sie bleiben gleichfarbig, bis sie wieder überstrichen werden. Diesen Prozess sieht man in Rom, wo die berühmten Kalkfarben von Trastevere nun Stück für Stück durch globalisierte, europäische Duchschnittsfarben ersetzt werden. Diese ändern ihren Farbton nicht mehr, auch diese Zeit ist abgelaufen.
Die 365 Kichen von Rom wurden gesandstrahlt, das Pantheon gleichsam einer Torte in Stücke aufgeteilt und verschieden renoviert, da man sich nicht darauf einigen konnte, welcher historischen Farbe man den Vorzug gibt.
Man sieht, es ist also ein Prozess, der nicht auf Berlin beschränkt ist.
Aber gleichsam dem neuen Gedanken, den Wald zu renaturieren und wieder in Urwald zu verwandeln (ein hochmoderner Gedanke der überall aufkommt) so wird man später sich ärgern, dass man die 100 Jahre alte Bemalung der Häuser gnadenlos zerstört hat.
So wie man sich in Westdeutschland über das Verschwinden der Fachwerkhäuser ärgert und in Berlin das Abschlagen des Stucks in den 50er Jahren nun heute als traurig bezeichnet, so wird man später erkennen, das eine originale Hülle aus Zeit etwas erhaltenswertes ist; so wichtig wie Bilder in Museen oder Statuen im Park. Dort hat ja auch niemand etwas gegen Patina auf Kupfer- warum also etwas gegen Patina auf Häusern haben?

 
   
   
   
 

Ostberlin hatte damals ein gewisse Ähnlichkeit mit der „Zone“ der Gebrüder Arakadi und Boris Strugatzki in ihrem Buch „Picknick am Wegesrand“ welches von Tarkowskij im Film „Stalker“ aufgegriffen wurde. Es war nicht ungefährlich, dort zu fotografieren, aber natürlich eine Fundgrube an Separation. Nichts verstellte den Weg, keine Autos, kaum Menschen, nichts hässlich buntes.
Hässlich buntes wird da gefragt? Wieso ist buntes hässlich? Ganz einfach: in der Natur ist das Bunte etwas besonderes, es ist nicht in der Überzahl. Ein Blume ist nur temporär und örtlich begrenzt am blühen. Der grösste Teil der menschenfreien Welt ist relativ braun, farblos und selten knallig. Dies ist also die Natur, die wir mit ökologischen Gedanken ja aufrechtzuerhalten trachten, deren Fortgang wir betrauern. Warum also betrauern wir nicht auch den Fortgang der natürlichen Farbigkeit? Weil wir natürlich Angst haben- Angst vor der Natur. Als Bezwinger der Natur wollen wir sie gezähmt wissen, sie soll in Schachteln gepackt und geregelt werden. Wir hätten gerne wieder Wölfe, aber doch bitte in einem sauberen Käfig, wenns geht.
Diese langsame Umstellung des menschlichen Begriffsvermögens ausgehend von der totalen Niederzwingung der Natur der Römer durch Abholzung, bis hin zu Villa d’Este mit nur teilweisem Bewuchs in der Planungsphase, bis hin zu den geordneten Gärten eines Ludwig des 14ten, bis hin zum Englischen, unsymmetrischen Garten und dem jetzt modernen, scheinbarem Unkrautgarten fand hier in der Architektur und der Behandlung der Oberflächen einen korrespondierenden Verlauf.
Was früher als verwerflich galt, wird später zum Stil. Und so kann man voraussehen, das die durch Zeit geprägte Eleganz der unrenovierten Häuser in Ostberlin 1980 nach Ablauf einiger Jahrzehnte als museal erhaltenswert eingeschätzt wird. Natürlich zu spät.
Die Überfülle der Farben in der heutigen Gesellschaft, die bessere Verkäuflichkeit eines Gegenstandes durch Erhöhung des Farbkontrasts in der Abbildung hat dazu geführt, das die Sehgewohnheiten verschoben sind. Die Filmhersteller haben von Haus aus den Kontrast schon angehoben, die Monitore und Drucker tun es auch, ein allgemeines Wettrennen nach mehr Farbe ist im Gange. Selbstverständlich nicht reflektiert, denn genau genommen wird man ja als Idiot dargstellt. Nur der Schwachsinnige (also schwachsichtige) braucht eine extreme Farbe, um etwas zu erkennen. Man behandelt uns als abgestumpfte Schafe, die mit Radikalfarben traktiert werden müssen, um überhaupt noch zu reagieren. Dies sieht man eindeutig an den immer heller werdenden Rücklichtern der Autos: Man fühlt sich inzwischen als unsensibel beurteilt, so dass es nötig ist uns mit Licht zu traktieren.
Demnach war die DDR ein sensibler Staat, mit kleinen Rücklichtern und feinen, winzigen Zeichen. Suchen und Finden war erschwert, es erforderte also eine höhere Aufmerksamkeit.
Dagegen ist die heutige globale Staatsform der Oligarchie unsensibel und nur ökonomisch orientiert. Die Herschaft der Wenigen (in unserem heutigen Fall die Firmen) hat eine Gesellschaft hervorgebracht, in der das kleine und feine keinen Platz mehr hat.
Auch das braune und naturfarbige wird erst langsam seinen Platz zurückerobern; erst dann wenn die nächste Generation merkt, dass das was zur Zeit vorgeht, ja nicht alles sein kann.
Da gab es doch noch etwas anderes.

 

 
   
   
   
 

So wie der moderne unsymmetrische naturbelassene Garten nun modern wird, werden zukünftige Generationen entdecken, das der Überkontrast, die Einfarbigkeit (Homogenität) und die übersaubere Oberfläche im Grunde genommen nichts natürliches sind.
Nur der Himmel ist einfarbig, sonst gar nichts in der Natur.
Doch diese Sichtweise braucht Voreiter, die dieses Erkennen möglich machen.
In diesem Sinne war die DDR auch ein didaktisches Kunstwerk, das gewisse Erkenntnisse für uns bereit hielt. Das dortige Gefühl war dementsprechend gleichsam der Exotik des Betretens eine Naturkundemuseums. Was kommt um die nächste Ecke, was liegt in den Vitrinen?
Nun durfte lange darüber nicht geredet werden, erst eine Generation musste abgewartet werden.
Eine Generation, die hoffentlich versteht, das die rein ökonomischen Gedanken einer Gesellschaft nicht ausreichen, um eine Naturverbundenheit herzustellen. Bei der Jeans fängt es an: das Verwaschene wird als positiv bezeichnet. Aber bis zum vorausdenkenden Hausbesitzer wird noch Zeit vergehen. Aufällig ist, dass die Werbung liebend gerne alte rostige Tankstellen, vergammelte Backsteinmauern und zerbröckelnde Häuser als Kulissen für die Models nimmt. Eine Kulisse, die es kaum noch gibt. Aber warum greift diese Entwicklung noch nicht im persönlichen Bereich? Es wird wohl noch dauern bis Kompositionsgefühl und Farbwahl eine heterogene Fläche vorziehen; wo nicht nur in Lokalen und Cafes die Wand getüpfelt wird, sondern auch im Aussenbereich.
So gesehen war die DDR aus Versehen ein Kunstwerk. Aber niemand wollte es haben.
Die Bilder von Stefan Hoenerloh stellen gleichsam als Distanz zum realen Geschehen auch nie etwas tatsächlich Reales aus Ostberlin dar. Sie weisen nur darauf hin, dass in der damalig gelebten Langsamkeit auch ein Begriff lag, der heute wieder heiss diskutiert wird: Die Entschleunigung. Somit liegt auch der Verdacht nahe, dass wenn es kein Aussen gegeben hätte, also der DDR-Staat isoliert auf einem Planeten gelegen hätte, er durchaus lebensfähig gewesen wäre. Es hätte ja auch keine Mauer und keine Stasi gegeben, wenn es kein aussen gibt. Nur im Konkurrenzkampf mit der Oligarchie, die sich damals angekündigt hat, musste das System verlieren und seine Bewohner lebensfeindlich umzingeln. Aber prinzipell war es eine langsamere Gesellschaftsform, in der die technische Entwicklung Schritt gehalten hat mit dem Begriffsvermögen des vernunftbegabten Menschen; das Gegenteil der heutigen Entwurzelung, die Museales nur noch unter Marketinggesichtspunkten betrachtet.

Berlin 2009