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  Augen im Unbekannten

Zu den Bildern von Stefan Hoenerloh

Gesellschaftlich organisierte Lebewesen tendieren dazu, große Bauten zur gemeinschaftlichen Nutzung zu errichten. Und die Architektur, die von Menschen gebaut wird, hat die größte Vielzahl von Aspekten, die über den reinen Nutzwert hinausgehen. Ästhetische zum Beispiel. Symbolische auch. Schließlich wissen wir spätestens seit den Forschungen Günter Bandmanns, dass die Kathedralen auch das Abbild des Himmlischen Jerusalem sind. Villen sind der Ausdruck des Geschmacks und des Selbstverständnisses ihrer Erbauer. Und Stadtarchitektur spiegelt Sitten, mehr noch: Unsitten der Gesellschaft wider, die sie pflegt. Und das alles gilt noch in konzentrierterem Maße, wenn die Architektur als Thema einer anderen Kunst, der Bildkunst, vorkommt. So die Baukunst Sujet der Malerei wird, wie bei Stefan Hoenerloh, muss auch noch mit mehr gerechnet werden, als nur mit einer Interpretation von architektonischen Ideen.

Stefan Hoenerloh ist ein ganz außergewöhnlicher Maler, ein Moderner mit altmeisterlicher, perfekter Technik, die alles zeigen und entstehen lassen kann, was sie will. Das große Thema von Stefan Hoenerloh ist die Architektur, die gebaute Stadt. Aber nur im Ausschnitt. Er schafft keine Stadtpanoramen als malerische Vision einer gewesenen, existierenden oder zukünftigen Urbanistik. Ein Ausschnitt steht im Mittelpunkt, so wie man selbst, eine Stadt zu Fuß durchstreifend, stets auch nur Ausschnitte wahrnimmt. Man erkennt sie wieder, die Architekturen, die Stefan Hoenerloh vielschichtig lasierend auf den Bildträger bannt. Und ist doch einer Täuschung aufgesessen. Denn so detailgenau in jedem Winkel die von der Zeit patinierten Bauten uns auch erscheinen mögen: Es gibt sie nicht in Wirklichkeit. Hoenerloh ist kein Venedig-, Marseille- oder Salamanca-Tourist mit einem Pinsel statt einer Kamera. Auch wenn die stürzenden Linien in den Bildern zunächst den Anschein erwecken, es handele sich um Fotos oder im Bilder nach Fotos. Seine gemalten Bauten sind reine Fiktion. Sie stehen, außer in seinen Bildern, nirgendwo. Und deswegen stehen sie überall. Indem sie eine Idee von gebauter Stadt verkörpern, jenseits baulicher Zwänge, wie sie Realarchitektur aufweisen kann, können sie von mehr und von anderen Dingen sprechen, als wirkliche Bauten, die uns um die Ecke oder an der fernen Newa begegnen.

Hoenerlohs Bauten bilden auch keine Stilgeschichte ab. Sie vereinen stadtarchitektonischen Stil und Bauzier zwischen Renaissance und Klassizismus und ihren Neo-Formen, ohne sich auf die diesen zu Grunde liegenden Ideen einzuschwören. Das ist eine innerlich stimmige Entsprechung zum Verzicht auf die Abbildung von Realarchitektur.

Aus dieser zweifachen Fiktionalität beziehen sie die Kraft, mit denen sie auf den Betrachter einwirken, unabhängig von dessen Lebenserfahrung und Lebensalter, Geschlecht und sozialer Stellung. Denn unabhängig, wie diese Hintergrundsfolien die Beziehung des Betrachters zu den Bildern Hoenerlohs mitbestimmen, ihr Kern ist universal, über den sinnlichen Eindruck, über die visuelle Erfahrung erschließbar.

Da ist zunächst die Größe. Auch wenn Hoenerlohs Bilder nicht notwendigerweise monumentale Dimensionen besitzen, eignet den gemalten Bauten jedoch Monumentalität. Das liegt einmal daran, dass er keine kleinen Hütten malt, sondern Großbauten, vielstöckige Gebäude, die wir selten ganz sehen, aber meistens in genau jener Untersicht mit stürzenden Linien, die uns klein und die Häuser noch größer macht. Sie künden von einem Willen, einer Macht, einer Tradition, die über uns und unsere Mittel hinausgeht, die gesellschaftlich und damit überindividuell ist.

Insofern stimmt es auch, dass Hoenerloh die „klassischen“ Formen bevorzugt, statt der individualistischen modernen. Die kollektivistische Moderne bleibt, da sie ästhetisch wenig Anreiz bietet, ohnehin außen vor. Und zu diesen großen Komplexen setzt er den Betrachter in Beziehung, der seine Position dazu definieren muss, der hier seine Gefühls- und Gedankenwelt aktivieren muss, damit die gemalten Welten belebt werden.

Und dann ist da die Leere. Keine Menschen – auch keine Tiere, und Pflanzen sieht man auch nicht - bewohnen Hoenerlohs Häuser. Keine, jedenfalls, die man sieht. Die Architekturen erscheinen dennoch nicht unbewohnt. Es gibt, wenn auch nur zarte, Spuren ihrer Bewohntheit. Und wenn es der Betrachter ist, der seine Gefühls- und Gedankenwelt ankurbeln muss, dann ist es auch der Betrachter, der hier wohnt, oder seine Freunde, Bekannten, Verwandten, die er besucht, wenn er mit den Augen in Hoenerlohs Bilder eintritt. Wenigstens könnten es seine Bekannten sein.

Aber auch eine andere Möglichkeit eröffnet sich. Der Betrachter darf auch Augen-Tourist im Unbekannten sein, der ganz plötzlich um eine Ecke biegt und eine Ansicht vor sich hat, die er noch nie oder wenigstens so noch nie gesehen hat. Es ist ein Erlebnis, das jenem verwandt ist, das viele schon gehabt haben: Beim Durchwandern einer fremden Stadt sieht man plötzlich etwas, das man meint, schon zu kennen, schon einmal gesehen zu haben. In einem anderen Leben vielleicht. Aber es ist dann doch kein déjà-vu, denn wirklich kennt man es nicht. So sind Hoenerlohs Bildes presque déjà-vus, Beinahe-Bekannte. Und aus dieser Unsicherheit, dieser Spannung zwischen Gewesenem und Möglichem, entsteht ihr großer Reiz.

Und dann ist da auch noch die Zeit. Denn die Häuser in den Bildern sind alt, von des blinden Chronos Zahn benagt, vom Staub vieler Jahrzehnte bedeckt, vom Regen hunderter Herbste verwaschen, von der Witterung unzähliger Jahre angegriffen. Ihre Patina, schmutzig und vornehm zugleich, verweist auf die Würde des Alters (was hat Alter schon, außer vielleicht Würde?), zeigt, dass sie länger sind, als wir (die Betrachter) je sein werden. Sie zeigen sich uns daher überlegen. Sie erzählen von Zeit.

Zeit ist ein unerhörtes Faszinosum. Nicht einmal die Physik, die vielleicht fortgeschrittenste aller Wissenschaften, kommt mit ihr zurecht. Sie glaubt, sie sei relativ, und dass sie sich durch Geschwindigkeit dehnen lasse. So erweist die Physik sich als arm, denn sie kann mit ihren Mitteln nicht verstehen, dass sie nur Effekte misst, die auf die Zeitmesser einwirkt (da sie Materie sind). Die Zeit aber ist absolut. Sie vergeht ständig, ein unendlicher Strahl, ohne Anfang, ohne Ende. Zeit war schon immer und wird immer sein. Man kann in ihr nicht reisen wie im Raum. Was war, ist unwiederbringlich vergangen, was kommt, weiß keiner.
Selbst wenn es ein Raumschiff gäbe, das schneller flöge als das Licht – in die Zukunft könnte es nicht gelangen, da diese noch nicht stattgefunden hat, und von der Vergangenheit könnte sie nur ein paar Lichtstrahlen einfangen. Auch das Licht unterliegt dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik: Es löst sich ins unaufdröselbare Chaos auf.

Das alles macht Angst. Stefan Hoenerloh macht es Angst. Und so versucht er, heroisch wie vergeblich, alles anzuhalten, Inseln im Strom der Zeit aufzulanden, die nicht mitgeschwemmt werden. Das geht natürlich nicht, und der Betrachter, den er zum Teilhaber seiner Zeit-Angst macht, spürt das. Die Häuser erzählen von Zeit, von Zeit die vergangen ist. Das ist wohl das, was wir an alten Gemäuern bewundern - die endlose Zahl von Lebensfäden, die in ihnen abgespult wurden, die Abertausende von längst verhallten Schmerzens-, Lust- und Freudenschreien, das endlos ferne Echo leisen Mädchenweinens, das von den steinernen Wänden unhörbar zurückgeworfen wurde, die sorgenvollen Seufzer der Mütter, die von den hölzernen Balken der Decken verschluckt wurden, der trunkene Groll der Männer, der aus den tiefen Fensternischen durch die Fenster nach außen drang, das Trippeln und Trampeln der Schritte von Generationen von Vorausgegangen, denen wir einmal nachfolgen werden - und die Melancholie angesichts des Alten ist nichts weiter als eine verkapselte Trauer eigener Todesahnung.

Wenn Stefan Hoenerloh die alten Gemäuer malt, dann will er diese Dämonen bannen. Jedes Bild eine Kerze im Beschwörungskreis. Jeder Pinselstrich ein Zauberspruch. Und Hoenerloh konzentriert sich auch auf die Gebäude dabei, denn da gibt es kein dramatisierendes Wolkenspiel im Himmel. Der bleibt undurchdringlich bedeckt, im Hintergrund, höchstens einmal Folie expressiver Dachlinien, meist Lichtquelle für das geradezu zarte, gleichmäßige Bildlicht, das den Betrachter sanft in die Bilder geleitet, wie ein ferner Freund, der ihm sachte den Arm auf die Schulter legt.

Und ist man im Vorstellungsraum der Bilder, dann sieht man die Details, die das Erlebnis bereichern. Da gibt es Räume, die kann man nicht bewohnen, auch wenn es zunächst den Anschein hat. Da gibt es große Gebäudeteile, die gar keine Räume besitzen, auch wenn man erst dachte, das sei der Fall. Da gibt es die ausbalancierten Gegensatzpaare, die Treppen die nach oben und unten führen, die Seufzer-Brücken, die verbinden, was unverbunden erscheint. Das führt zu einer reichhaltigen, aber auch paradoxen Erfahrung von Architektur durch das Medium der Malerei, denn erst in der Malerei wird deutlich, was Architektur sein kann, und was sie nicht ist. Und sie zeigt durch sich selbst, was sie an Erkenntnismöglichkeiten bieten kann, für den Maler wie für den Betrachter. Und sie wird so zu einer symbolischen Konkretisation von Welterfahrung.

Und da gibt es auch die Muster in der Patina, die wie minutiöse Registraturen des materiellen Verfalls erscheinen, die sich beim näheren Hinsehen aber als autonome ästhetische Muster offenbaren, mit einem betonten Eigenleben im Zusammenhang der malerischen Ausführung des Bildes. Denn das sind Stefan Hoenerlohs Bilder auch immer: Malerei, die sich als solche auch zeigt.

Gerhard Charles Rump